

20th July 2017
Albert Tsang, Technical Manager bei Precision Micro
Viele Ingenieurteams von OEMs, die an der Entwicklung neuer Produkte und Anwendungen arbeiten, stehen vor der Frage, welches Metallbearbeitungsverfahren am besten für ihre Anforderungen geeignet ist. Diese Frage ist nicht immer gleich zu beantworten, da für unterschiedliche Teilegeometrien auch verschiedene Herstellungstechnologien die jeweils beste Wahl sind. Die Entscheidung für die passende Bearbeitungstechnik richtet sich nicht nur nach der Art des zu bearbeitenden Metalls, sondern auch nach der Materialdicke, der erforderlichen Schnittqualität und der Geschwindigkeit, in der der Fertigungsvorgang abgeschlossen sein muss.
Es gibt aber einige Anhaltspunkte, an denen man sich bei der Verfahrenswahl orientieren kann. Die Kosten pro Teil und die Qualität sind wichtige und weitestgehend allgemeingültige Faktoren und der Kunde ist König, wenn es darum geht, Erfolg oder Misserfolg einer Technik zu bewerten.
Chemisches Ätzen im Vergleich
Chemisches Ätzen ist eine Metallbearbeitungstechnik, um durch gezieltes Ätzen mithilfe von Fotolack plane, spannungsfreie Teile herzustellen. Dieses Verfahren eignet sich insbesondere für die Fertigung von Präzisionsteilen wie Gittern und Netzen, Leiterplatinen für integrierte Schaltkreise, Platten für Brennstoffzellen und Wärmetauscher, Präzisionsfedern, Unterlegscheiben, Dichtungsringen und dekorativen Teilen wie Innenfelgen für Automobilanwendungen.
Im Vergleich zu herkömmlichen Fertigungstechniken bringt das chemische Ätzen eine Reihe von Vorteilen mit sich. Dazu gehört insbesondere, dass die Materialeigenschaften nicht beeinträchtigt werden und dass es praktisch keine Grenzen bezüglich der Komplexität der Teile gibt. Außerdem kann eine Vielzahl von Metallen und Legierungen bearbeitet werden – Eisen- und Nichteisenmetalle, austenitische und martensitische Stähle sowie Kupfer-, Messing- und Nickellegierungen. Auch schwer zu bearbeitende Metalle wie Titan und Titanlegierungen sowie Aluminium, Hochtemperaturlegierungen wie Inconel und Edelmetalle wie Silber können bearbeitet werden.
Jede der herkömmlichen Bearbeitungstechniken weist verschiedene Nachteile auf, zu denen vor allem die Verschlechterung des verarbeiteten Materials infolge hoher Belastung beziehungsweise starker Erhitzung im Falle von Laserschneiden zählt. Ein anderer großer Unterschied betrifft den Bereich der Werkzeugerstellung. Das wird am Vergleich von chemischem Ätzen und Stanzen erläutert: Beim chemischen Ätzen erfolgt die Werkzeugerstellung digital, sodass keine teuren und schwer anzupassenden Stahlformen angefertigt werden müssen. Das heißt, dass große Mengen an Teilen reproduziert werden können, ohne dass es dabei in irgendeiner Weise zu Werkzeugverschleiß kommt. So wird gewährleistet, dass das erste und das millionste produzierte Teil absolut identisch sind.
Dank der „virtuellen“ Werkzeugerstellung können die Werkzeuge außerdem äußerst schnell und kostengünstig verändert und angepasst werden und sind so perfekt für alle Schritte von der Prototypenerstellung bis zur Serienfertigung geeignet. Das erlaubt Designanpassungen ohne Mehrkosten, sodass eine risikoarme Eintrittsstrategie gewährleistet ist und Produktaktualisierungen einfach durchgeführt werden können. Die Durchlaufzeit dieses Verfahrens ist etwa 90 % kürzer als die für gestanzte Teile. Stanzen erfordert erhebliche Investitionen in die Herstellung von Formen. Das ist nicht nur teuer, sondern kann manchmal sechs bis zehn Monate dauern, während die Werkzeugerstellung für das Ätzen nur wenige Stunden erfordert.
Designfreiheit
Die günstige und flexible Werkzeugerstellung für das chemische Ätzen erlaubt große Freiheit im Design und macht es möglich, scheinbar unmöglich komplexe Produkte zu fertigen. Keith Jackson, CTO von Meggitt, dem Mutterunternehmen von Precision Micro, brachte dies mit den folgenden Worten auf den Punkt: „Mit chemischem Ätzen können Sie experimentieren.“ Da die Kosten für die Prototypenerstellung so gering sind, besteht mit dem Verfahren kein Eintrittshindernis. Komplexe Designs können innerhalb weniger Tage und Designiterationen innerhalb weniger Stunden erstellt werden. Der wesentliche Nachteil für die Branche im Allgemeinen liegt vielleicht darin, dass das chemische Ätzen in vielen Fällen nicht zum Repertoire der Techniker gehört, was Innovationen behindern kann. Chemisches Ätzen ermöglicht Innovationen und verschiebt die Grenzen des Möglichen, die viele Konstrukteure in ihrer Arbeit einschränken. So können Teile produziert werden, die viele vielleicht nicht für möglich gehalten hätten.
Komplexität ohne Zusatzkosten
Viele der heutigen Produkte sind extrem komplex und sehr fragil. In vielen Fällen führen geometrische Komplexität und die geforderte hohe Präzision mit äußerst engen Toleranzwerten dazu, dass das chemische Ätzen nicht nur „ein“ möglicherweise geeignetes Fertigungsverfahren darstellt, sondern vielmehr die einzige Technik ist, mit der bestimmte Produkte hergestellt werden können. Schauen wir uns die Frage der Komplexität einmal genauer an.
Beim Stanzen bedeutet eine höhere Komplexität der Teile in der Regel höhere Kosten, egal ob bei Anwendungsbereichen mit niedrigen, mittleren oder hohen Stückzahlen. Ein komplexes Produkt erfordert ein komplexes Formwerkzeug und eine komplexe Werkzeugerstellung führt zu höheren Kosten, erhöhtem Risiko des Werkzeugversagens und längeren Vorlaufzeiten, bis das Werkzeug zufriedenstellend umgesetzt ist. Beim chemischen Ätzen ist die Komplexität des Werkzeugs jedoch nicht von Belang. Eine höhere Komplexität der Teilegeometrie und somit der digitalen Werkzeugerstellung wirkt sich nicht auf Kosten oder Vorlaufzeiten aus.
Vielmehr können mit chemischem Ätzen feinere Details erzielt werden als mit dem Stanzen, wobei das Material kaum bis gar nicht beeinträchtigt oder verformt wird und die Gefahr von Graten und Mängeln praktisch nicht gegeben ist. Ausfallraten sind verschwindend gering und im Gegensatz zum Stanzverfahren produziert das chemische Ätzen absolut plane Teile, was für einige Anwendungen unabdingbar ist.
Aber auch für das Stanzen gibt es ideale Anwendungsgebiete. Die Stärke des chemischen Ätzens besteht in der Herstellung komplexer Teile in kleinen bis mittleren Stückzahlen. Bei enorm großen Serien, bei denen sich die hohen Werkzeugkosten lohnen, und bei nicht allzu komplexen Designs ist das Stanzen in der Regel das günstigere Verfahren.
Im Wesentlichen wird beim Stanzen ein Produkt dadurch erzeugt, dass ein Trägerwerkstoff in eine Form gedrückt wird, sodass die gewünschte Kontur erzeugt wird. Dabei wird der Werkstoff in einer entsprechenden Transferpressanlage nach und nach vorgerückt. Das chemische Ätzen ist ein deutlich komplizierteres Verfahren, weshalb es sich auch für komplexe Teilegeometrien und Präzisionsanwendungen eignet. Die höhere Zahl an Variablen im Prozess kann die mögliche Fehlerquote erhöhen. Dies kann jedoch in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Anbieter chemischer Ätzverfahren wie Precision Micro vermieden werden.
Albert Tsang ist technischer Leiter bei Precision Micro, Birmingham, GB, und seit 13 Jahren im Unternehmen tätig. Seit über 50 Jahren ist Precision Micro ein Pionier auf dem Gebiet des fotochemischen Ätzens, einer Metallbearbeitungstechnik, bei der mittels subtraktiver chemischer Erosion grat- und spannungsfreie Präzisionsmetallteile gefertigt werden.