
14th September 2015
Das photochemische Ätzen eröffnet gegenüber den etablierten Verfahren wie Stanzen oder Lasern neue Möglichkeiten in der Präzisionsmetallbearbeitung.
Der technische Fortschritt macht auch vor der metallverarbeitenden Industrie nicht Halt: Metallteile müssen immer filigraner, kleiner, präziser und dabei noch möglichst effizient und kostengünstig hergestellt werden. Das erfordert alternative Verfahrenstechniken, die auf diese Anforderungen eingestellt sind. Die photochemische Ätztechnik verschiebt die Grenzen des Möglichen in der Präzisionsmetallbearbeitung. So können detailreiche Teile aus bestimmten Metallen hergestellt werden, die viele Konstrukteure zuvor nicht für möglich gehalten hätten. Viele der heutigen Produkte sind extrem komplex und sehr fragil. Markus Rettig, Sales Manager bei Precision Micro in Deutschland, ergänzt: „In vielen Fällen führen diese geometrische Komplexität und die geforderte hohe Präzision dazu, dass die Ätztechnik nicht nur eine Möglichkeit unter vielen ist (wie Stanzen, Laserstrahlschneiden oder Wasserstrahlschneiden), sondern vielmehr die einzige Technik, mit der diese Produkte hergestellt werden können.“ Das Unternehmen produziert seit mehr als 50 Jahren Hochpräzisionsmetallteile mittels Produktionsverfahren wie photochemisches Ätzen, Electro-Forming (Galvanisierung) und Drahterodieren. Im Vergleich der verschiedenen Verfahren zur Metallzerspanung zeigt sich, welches Innovationspotenzial in der photochemischen Ätztechnik steckt, von immer raffinierteren Designs bis zur Bandbreite der zu bearbeitenden Materialien.
Konturgenauigkeit im Vergleich
Eine konventionelle Methode zur Serienfertigung von Metallteilen ist das Stanzen. Seine Vorteile zeigen sich bei der Fertigung besonders hoher Stückzahlen in einem automatisierten Hochgeschwindigkeitsverfahren. Dies gleicht auch die anfänglichen hohen Werkzeugkosten bei der Einrichtung der Stanzformen aus. Jedoch wird dieser Effekt zunichte gemacht, wenn sekundäre Arbeitsgänge nötig sind, um Planität, nötige Kantenpräzision und anspruchsvolle winzige Details zu erreichen. Die beim Stanzen auftretenden mechanischen Kräfte lösen Spannungen im Metall aus, die Konturen erhalten eine leichte Anschrägung und einen Grat.
Die Ätztechnik zeichnet sich dagegen durch eine hohe Konturgenauigkeit aus. Durch einen genauestens kontrollierten Prozess entstehen glatte und gratfreie Kanten. Dabei wird durch selektives Ätzen durch eine Fotolackmaske nicht erwünschtes Metall mit einer Standardtoleranz von ± 10 Prozent bezogen auf die Materialstärke entfernt. So entstehen spannungsfreie, plane Teile. Besonders gefragt ist diese Präzision bei Metallgitterstrukturen, Leiterrahmen für integrierte Schaltplatten, Brennstoffzell- und Wärmetauscherplatten, Präzisionsfedern, Unterlegscheiben und Dichtungen, medizinischen Instrumenten und Implantaten sowie dekorativen Teilen bei Autoinnenverkleidungen.
Bei der Laserstrahltechnik – als abtragendes, thermisches Verfahren – hängt die Konturgenauigkeit sehr von der Dicke des Materials ab. Bei dünnen Metallfolien ist die Schnittqualität sehr hoch und damit sind sehr enge Toleranzen möglich. Bei dickeren Materialien kann die zugeführte Wärme jedoch zu Gefügeveränderungen und Ungenauigkeiten in der Teilebeschaffenheit führen. Das Wasserstrahlschneiden, bei dem das Werkstück mit einem Hochdruckwasserstrahl von über 6.000 bar bearbeitet wird, ist der Ätztechnik ebenfalls unterlegen, was die Genauigkeit betrifft. Die Einhaltung von Toleranzen im Mikrometerbereich ist weniger möglich, da die Kanten nicht zu 100 Prozent gratfrei sind.
Es kommt auf das Material an
Besonders das Wasserstrahlschneiden ist für eine Fülle von Materialien geeignet, sowohl metallischer als auch nichtmetallischer Art (z. B. Kunststoff, Holz, Glas oder Stein). Bei den metallischen Werkstoffen weist auch das photochemische Ätzen eine große Bandbreite auf, weiß Markus Rettig: „Sowohl harte Metalle wie Edelstahle wie Sanvik 7C27Mo2 oder Inconel als auch weiche Metalle wie Aluminium oder Kupfer können verarbeitet werden.“ Darüber hinaus zeigt sich die Innovationsfreude dieser Verfahrenstechnik auch bei den Werkstoffen: Auch teures und schwer zerspanbares Titan sowie Titanlegierungen lassen sich mit dem Ätzverfahren wirtschaftlich bearbeiten. Precision Micro ist der erste Anbieter in Europa, der diese effiziente Titanbearbeitung sowohl für Prototypen- als auch Serienfertigung realisieren kann.
Ideal ist die Ätztechnik für Metalle mit einer Stärke zwischen 10 Mikrometern und 1,5 Millimetern und für Plattengrößen bis zu 600 x 1.500 Millimetern. Bei dickeren Metallen würde der Ätzvorgang länger dauern und sich damit nicht mehr rentieren.
Vorlaufzeiten und Bearbeitungsgeschwindigkeit beachten
Eine nicht zu unterschätzende Variable für die Wirtschaftlichkeit des Herstellungsprozesses ist die Geschwindigkeit. Dabei zu beachten sind einerseits die eigentliche Bearbeitungszeit, andererseits aber auch die Vorlaufzeit bis zum eigentlichen Produktionsvorgang. Das Stanzen ist ein Hochgeschwindigkeitsverfahren, mit dem schnell hohe Stückzahlen gefertigt werden können. Allerdings ist die Vorlaufzeit mit der Werkzeugerstellung sehr lang – Bauteilumgestaltungen sind ebenfalls zeitaufwändig und auch teuer. Beim Laserstrahlschneiden ist die Bearbeitungsgeschwindigkeit grundsätzlich hoch, die Vorlaufzeiten gering. Jedoch können aufwändige Designs die Programmierungszeit verlängern. Da jede Kante oder Öffnung einzeln geschnitten wird, nimmt zudem auch die Bearbeitungszeit bei komplexeren Teilen zu. Im Vergleich zum Wasserstrahlschneiden werden bei der Lasertechnik höhere Schnittgeschwindigkeiten erzielt. Die Ätztechnik zeichnet sich durch eine sehr kurze Vorlaufzeit aus, da die digitalen Werkzeuge wenn nötig in wenigen Stunden erstellt werden können. Auch der Herstellungsprozess an sich ist zügig und eignet sich damit auch für Serienfertigungen sowohl in kleineren als auch in großen Stückzahlen.
Komplexität ist kein Nachteil
Beim Stanzen bedeutet eine höhere Komplexität in der Regel auch höhere Kosten. Ein geometrisch anspruchsvolleres Produkt erfordert ein komplexeres Formwerkzeug, was eine aufwändigere und längere Werkzeugerstellung nach sich zieht. Auch ist das Risiko des Werkzeugversagens bei komplexen Formen höher. Beim photochemischen Ätzen ist die Komplexität kein Nachteil. Markus Rettig erläutert: „Die Werkzeugerstellung beim photochemischen Ätzen erfolgt digital und damit äußerst kostengünstig und schnell. Das erlaubt größere Freiheit im Design und damit diffizile und filigrane Strukturen. Ob das Metallteil ein Loch hat oder viele, es ändert sich nichts an den Kosten.“ Änderungen im Design können in wenigen Stunden anstatt in Tagen oder Wochen realisiert werden. Ein Werkzeugverschleiß ist nicht gegeben, was der Ätztechnik eine hohe Wiederholgenauigkeit beschert. Es kann gewährleistet werden, dass das erste und das millionste Teil absolut identisch sind – ein entscheidender Vorteil bei der Serienproduktion.
Ätztechnik plus Elektropolieren = Präzision und Effizienz
Das Ätzverfahren bietet also deutliche Vorteile, wenn es auf Präzision und Detailreichtum der Teile ankommt. Kein anderes Verfahren ermöglicht so genaue, gratfreie Konturen und plane Oberflächen. Darüber hinaus können die Eigenschaften des geätzten Metalls durch das geeignete Endbearbeitungsverfahren noch weiter verbessert werden. Beim photochemischen Ätzen hat sich das Elektropolieren als idealer Endbearbeitungsprozess etabliert. Precision Micro setzt das Elektropolierverfahren inzwischen für eine breite Palette an Metallen ein, von Edelstählen, Stählen mit niedrigem und hohem Kohlenstoffgehalt, Werkzeugstählen und Hochtemperaturlegierungen bis hin zu Aluminium, Kupfer usw. Markus Rettig kennt die Vorteile: „Zum einen überzeugt es mit einem verbesserten äußeren Erscheinungsbild der gefertigten Metallteile – sie sind heller und glatter, fühlen sich besser an und verfügen über ein gleichmäßiges Glanzprofil. Zum anderen weisen sie noch bessere mechanische Eigenschaften auf.“ Die Dauerfestigkeit wird beim Elektropolieren nicht beeinträchtigt. Zudem sorgt die absolute Glätte für weniger Schleppreibung und Oberflächenreibung. Bei geätzten Metallen mit einem typischen Ra-Wert von 0,64 Mikron kann die Oberflächenrauheit durch das Elektropolieren auf 0,32–0,4 Mikron gesenkt werden. Außerdem sind Metalle nach dem Elektropolieren korrosionsbeständiger.